Das Gedicht “Wacht auf” aus dem Jahre 1950 von Günter Eich begleitet mich numehr seit über 20 Jahren. Die so entscheidenden letzten Worte “… seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!” bestimmen bis heute meine Art des Lebens. Nun habe ich dieses geniale Stück Lyrik sogar in vertonter Form gefunden:
http://www.deutschelyrik.de/index.php/wacht-auf.html
Wacht auf, – denn eure Träume sind schlecht! Bleibt wach, – weil das Entsetzliche näher kommt. Auch zu dir kommt es, der weitentfernt wohnt von den Stätten, wo Blut vergossen wird, auch zu dir und deinem Nachmittagsschlaf, worin du ungern gestört wirst. Wenn es heute nicht kommt, kommt es morgen, aber sei gewiß. “Oh, angenehmer Schlaf auf dem Kissen mit roten Blumen, einem Weihnachtsgeschenk von Anita, woran sie drei Wochen gestickt hat, oh, angenehmer Schlaf, wenn der Braten fett war und das Gemüse zart. Man denkt im Einschlummern an die Wochenschau von gestern abend: Osterlämmer, erwachende Natur, Eröffnung der Spielbank in Baden-Baden, Cambridge siegte gegen Oxford mit zweieinhalb Längen, – das genügt, das Gehirn zu beschäftigen. Oh, diese weichen Kissen, Daunen aus erster Wahl! Auf ihm vergißt man das Ärgerliche der Welt, jene Nachricht zum Beispiel: Die wegen Abtreibung Angeklagte sagte zu ihrer Verteidigung: Die Frau, Mutter von sieben Kindern, kam zu mir mit einem Säugling, für den sie keine Windeln hatte und der in Zeitungspapier gewickelt war. Nun, das sind Angelegenheiten des Gerichtes, nicht unsre. Man kann dagegen nichts tun, wenn einer etwas härter liegt als der andre. Und was kommen mag, unsere Enkel mögen es ausfechten.” Ach, du schläfst schon? Wache gut auf, mein Freund! Schon läuft der Strom in den Umzäunungen, und die Posten sind aufgestellt. Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind! Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen. Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!