Essen soll Freude machen und nie zur Pflicht werden, raten Experten. Denn Kinder haben einen Instinkt dafür, was sie brauchen – und was nicht. Fixe Essenszeiten sind für Kleinkinder kontraproduktiv.
Heute schon ein Häschen aus einem Radieschen geschnitzt, damit der kleine Sohn der Rohkost noch eine Chance gibt? Oder die Tochter angefleht, „noch ein Löffelchen für die Oma“ zu essen? Oder etwa das selbstgekochte Superbioessen vom Boden gekratzt, wo es nach einem Zornausbruch des Juniors gelandet ist? Wer bei den Aufräumarbeiten nach einem Essensdesaster auch noch Tränen vergossen hat, darf sich trösten: Es gibt nur wenige Eltern, die beim Thema Ernährung nicht phasenweise verunsichert sind.
Denn Eltern, die versuchen, ihre Kinder von Anfang an auf einen gesunden und freudvollen Ernährungsweg zu schicken, haben heutzutage hart zu kämpfen. Weil sie sich selbst eingestehen müssen, dass ihre eigene Ernährungsweise oft nicht optimal ist. Weil der Stapel an Ernährungsratgebern zur weiteren Verwirrung beiträgt. Und weil jedes Kind andere Vorlieben hat und letztendlich nur eines hilft: Auf sein Kind einzugehen und es beim Essen zu nichts zu zwingen.
„Im Idealfall sollte ein Kind von Beginn an spüren, dass Essen Freude macht“, rät Carolin Imhof-Teuber, Ärztin im St. Anna Kinderspital. „Es ist wichtig, dass das Kind isst, weil es essen will und weil es das Essen genießt.“ Essen dürfe nicht zur Pflicht werden. Eltern übten aber oft Druck aus, weil sie fürchten, ihr Kind könnte in den ersten Lebensjahren zu wenig zu sich nehmen. „Dabei“, so Imhof-Teuber, „hungern Säuglinge und Kinder niemals freiwillig.“ Kinder hätten ein natürliches Gefühl für Hunger – „aber auch dafür, wenn sie satt sind“.
Nahrung nicht aufdrängen!
Die Ernährungswissenschaftlerin Ingeborg Hanreich steht zwei Mal wöchentlich bei der Hotline des Informationskreis Kind und Ernährung (IKE) besorgten Eltern Rede und Antwort. Anfragen häuften sich besonders zwischen dem 10. und 14. Lebensmonat des Kindes: „Der Übergang vom rundlicheren Baby zum schlankeren Kleinkind wird von manchen Eltern als bedrohlich wahrgenommen.“ Rund um diesen „Gewichtsknick“ setze oft eine gefährliche Dynamik ein: „Eltern versuchen, dem Kind Nahrung aufzudrängen oder es mit Spielchen zum Essen zu verführen.“ Wenn eine Mutter ihrem davon krabbelnden Kind mit dem Löffel hinterherlaufe, dann werde eine natürliche Grenze verletzt, meint die Ernährungswissenschaftlerin. Kinder durchliefen eben Phasen, in denen sie weniger Appetit hätten – sei es, weil sich ein neuer Zahn ankündige oder eine Verkühlung die Lust aufs Essen nehme.
Im Gegenzug sollten Eltern dem Hungergefühl des Kleinkindes nachgeben und nicht auf feste Essenszeiten pochen, sie also auf „später“ vertrösten. Auch Imhof-Teuber hält nichts von fixen Essstrukturen: Grundsätzlich sei die Faustregel von fünf Mahlzeiten am Tag zwar hilfreich; kleine gesunde Zwischenmahlzeiten, etwa ein Kornspitz oder Reiswaffeln, seien aber zusätzlich erlaubt.
Regina Fischer, Ernährungsberaterin nach Chinesischer Diätik (TCM) und Kleinkindpädagogin, rät bei den Zwischenmahlzeiten hingegen zu Vorsicht. „Kinder sollten regelmäßige Mahlzeiten einnehmen. Der kindliche Körper braucht zwischen den Mahlzeiten auch Phasen zur Verdauung.“ Wenn im Kinderwagen vor sich hingemampft werde, sei dies „keine bewusste Nahrungsaufnahme“, sondern eher „Beschäftigung gegen Langeweile.“
Kann sein, muss aber nicht sein, meint Imhof-Teuber. Bevor dem quengeligen Kind einfach Essen in die Hand gedrückt werde, müssten Eltern eben ausschließen, dass nur Langeweile oder mangelnde Aufmerksamkeit befriedigt werden. Sonst lernen die Kinder, dass sie Essen brauchen, um ausgeglichen zu sein.
Ist die erste schwierige Phase, die Umstellung auf normale Kost, einmal überwunden, können sich neue Konfliktfelder auftun. Was tun, wenn ein Kind über Wochen nur Nudeln mit Tomatensauce will? Ruhig Blut, raten die Experten. Denn an der Lieblingsspeise überessen sich Kinder überraschend schnell. Hanreich schlägt zudem vor, Kinder beim Kochen miteinzubeziehen.
Imhof-Teuber weist indessen auf den Instinkt von Kindern hin, sich die Nährstoffe zu holen, die sie brauchen. „Wenn man Kindern freie Hand lässt, ernähren sie sich überraschend ausgewogen.“ Leider werde dieses natürliche Gefühl im Laufe der Jahre verdorben. Daran seien vor allem Eltern schuld, die sich ihrer Vorbildwirkung nicht bewusst sind. „Kinder wollen essen, was die Eltern essen.“ Verzieht der Papa bei Rohkost das Gesicht, ist es also kein Wunder, wenn man auch die Sprösslinge damit jagen kann. Egal, ob das Radieschen Ohren hat oder nicht.
Quelle: diepresse.com